CDU-Verband Brüssel-Belgien asbl.

Verfassungsbeschwerden gegen Maßnahmen zur Griechenland-Hilfe

Bundesverfassungsgericht - Urteil vom vom 7. September 2011

Verfassungsbeschwerden gegen Maßnahmen zur Griechenland-Hilfe und zum
Euro-Rettungsschirm erfolglos - Keine Verletzung der Haushaltsautonomie des Bundestages.
 
Bundesverfassungsgericht - Urteil vom vom 7. September 2011Bundesverfassungsgericht - Urteil vom vom 7. September 2011
Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem heute verkündeten Urteil 
drei Verfassungsbeschwerden zurückgewiesen, die sich gegen deutsche und europäische Rechtsakte sowie weitere Maßnahmen im Zusammenhang mit der Griechenland-Hilfe und dem Euro-Rettungsschirm richten. 
 
Über den Sachverhalt informiert die Pressemitteilung Nr. 37/2011 vom 9. 
Juni 2011. Sie kann auf der Homepage des Bundesverfassungsgerichts 
eingesehen werden. 
 
Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat entschieden, dass das zur Griechenland-Hilfe ermächtigende Währungsunion-Finanzstabilitätsgesetz und das den Euro-Rettungsschirm betreffende Gesetz zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines 
europäischen Stabilisierungsmechanismus (Euro-Stabilisierungsmechanismus-Gesetz) nicht das Wahlrecht aus Art. 38 
Abs. 1 GG verletzen. Der Deutsche Bundestag hat durch die Verabschiedung  dieser Gesetze weder sein Budgetrecht noch die Haushaltsautonomie zukünftiger Bundestage in verfassungsrechtlich unzulässiger Weise beeinträchtigt. 
 
§ 1 Abs. 4 des Euro-Stabilisierungsmechanismus-Gesetzes ist allerdings 
nur bei verfassungskonformer Auslegung mit dem Grundgesetz vereinbar. 
Die Vorschrift ist dahingehend auszulegen, dass die Bundesregierung vor 
Übernahme von Gewährleistungen im Sinne des Gesetzes verpflichtet ist, 
die vorherige Zustimmung des Haushaltsausschusses einzuholen. 
 
Im Übrigen bestimmt der Senat die verfassungsrechtlichen Grenzen für 
Gewährleistungsermächtigungen zugunsten anderer Staaten im Europäischen 
Währungsverbund. 
 
Dem Urteil liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:
 
I. Prüfungsumfang / Zulässigkeit
Der Senat hält die erhobenen Verfassungsbeschwerden nur insoweit für 
zulässig, als unter Berufung auf das durch Art. 38 GG geschützte 
Wahlrecht die Bürger einen Substanzverlust ihrer verfassungsstaatlich 
gefügten Herrschaftsgewalt durch weitreichende oder gar umfassende 
Übertragungen von Aufgaben und Befugnissen des Bundestages rügen. Art. 
38 Abs. 1 GG schützt davor, dass Kompetenzen des gegenwärtigen oder 
eines künftigen Bundestages ausgehöhlt werden und damit die 
Verwirklichung des politischen Willens der Bürger rechtlich oder 
praktisch unmöglich gemacht wird. Eine solche Entwertung des Wahlaktes 
droht grundsätzlich dann, wenn Gewährleistungsermächtigungen zur 
Umsetzung von Verbindlichkeiten, die die Bundesrepublik Deutschland im 
Rahmen internationaler Übereinkünfte zur Erhaltung der Liquidität von 
Staaten der Währungsunion eingeht, ausgesprochen werden. Der Senat 
konnte offenlassen, unter welchen Voraussetzungen Verfassungsbeschwerden 
gegen außervertragliche Änderungen des primären Unionsrechts auf Art. 38 
Abs. 1 Satz 1 GG gestützt werden können. Die Beschwerdeführer haben 
insofern keinen konkreten Zusammenhang dargelegt, der auf eine 
außervertragliche Änderung des primären Unionsrechts infolge der 
angegriffenen Maßnahmen hindeutet. Auch im Hinblick auf eine mögliche 
Verletzung des Eigentumsgrundrechts (Art. 14 GG) haben die 
Beschwerdeführer nicht hinreichend Tatsachen vorgetragen aus denen sich 
ergibt, dass von den angegriffenen Maßnahmen eine objektive 
Beeinträchtigung der Kaufkraft des Euro von erheblichem Umfang ausgehen 
könnte. Soweit die Verfassungsbeschwerden nicht nur die beiden 
einschlägigen Gesetze des Deutschen Bundestages angreifen, sind sie 
unzulässig, weil es an einem tauglichen Beschwerdegegenstand fehlt. 
 
II. Prüfungsmaßstab 
Art. 38 GG fordert in Verbindung mit den Grundsätzen des 
Demokratieprinzips (Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2, Art. 79 Abs. 3 GG), dass 
die Entscheidung über Einnahmen und Ausgaben der öffentlichen Hand als 
grundlegender Teil der demokratischen Selbstgestaltungsfähigkeit im 
Verfassungsstaat in der Hand des Deutschen Bundestages bleibt. Auch in 
einem System intergouvernementalen Regierens müssen die Abgeordneten als 
gewählte Repräsentanten des Volkes die Kontrolle über fundamentale 
haushaltspolitische Entscheidungen behalten. Insofern ist es dem 
Deutschen Bundestag untersagt, finanzwirksame Mechanismen zu begründen, 
die zu nicht überschaubaren haushaltsbedeutsamen Belastungen ohne 
erneute konstitutive Zustimmung des Bundestages führen können. Es ist 
insoweit auch dem Bundestag als Gesetzgeber verwehrt, dauerhafte 
völkervertragsrechtliche Mechanismen zu etablieren, die auf eine 
Haftungsübernahme für Willensentscheidungen anderer Staaten 
hinauslaufen, vor allem wenn sie mit schwer kalkulierbaren 
Folgewirkungen verbunden sind. Jede ausgabenwirksame solidarische 
Hilfsmaßnahme des Bundes größeren Umfangs im internationalen oder 
unionalen Bereich muss vom Bundestag im Einzelnen bewilligt werden. Auch 
bei der Art und Weise des Umgangs mit den zur Verfügung gestellten 
Mitteln muss hinreichender parlamentarischer Einfluss gesichert sein. 
 
Der Senat, dem im Hinblick auf die prozessuale Ausgangslage eine Prüfung 
der beanstandeten Gesetze an unionsrechtlichen Bestimmungen verwehrt 
war, weist gleichwohl darauf hin, dass die bestehenden europäischen 
Verträge einem Verständnis der nationalen Haushaltsautonomie als einer 
wesentlichen, nicht entäußerbaren Kompetenz der unmittelbar demokratisch 
legitimierten Parlamente der Mitgliedstaaten nicht entgegenstehen, 
sondern sie im Gegenteil voraussetzen. Die strikte Beachtung der 
europäischen Verträge gewährleistet, dass die Handlungen der Organe der 
Europäischen Union in und für Deutschland über eine hinreichende 
demokratische Legitimation verfügen. Der Senat weist in diesem 
Zusammenhang auch darauf hin, dass die vertragliche Konzeption der 
Währungsunion als Stabilitätsgemeinschaft Grundlage und Gegenstand des 
deutschen Zustimmungsgesetzes ist, wie dies der Senat bereits mit der 
Maastricht-Entscheidung deutlich gemacht hat (BVerfGE 89, 155 <205>). 
 
III. Subsumtion
Das Bundesverfassungsgericht kann sich bei der Feststellung einer 
verbotenen Entäußerung der Haushaltsautonomie nicht mit eigener 
Sachkompetenz an die Stelle des Gesetzgebers setzen. Es hat seine 
Prüfung hinsichtlich des Umfangs der Gewährleistungsübernahme auf 
evidente Überschreitungen äußerster Grenzen zu beschränken. Dem 
Gesetzgeber kommt hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit, für 
Gewährleistungen einstehen zu müssen, insofern ein 
Einschätzungsspielraum zu, den das Bundesverfassungsgericht zu 
respektieren hat. Entsprechendes gilt für die Abschätzung der künftigen 
Tragfähigkeit des Bundeshaushalts und des wirtschaftlichen 
Leistungsvermögens der Bundesrepublik Deutschland. Unter 
Berücksichtigung dieses gesetzgeberischen Einschätzungsvorrangs und 
gemessen an den zulässigerweise angelegten verfassungsrechtlichen 
Maßstäben erweist sich sowohl das Währungsunion-Finanzstabilitätsgesetz 
als auch das Euro-Stabilisierungsmechanismus-Gesetz als mit dem 
Grundgesetz vereinbar. Der Bundestag hat sein Budgetrecht nicht in 
verfassungsrechtlich unzulässiger Weise entleert und den substantiellen 
Bestimmungsgehalt des Demokratieprinzips nicht missachtet. 
 
Es kann nicht festgestellt werden, dass die Höhe der übernommenen 
Gewährleistungen die haushaltswirtschaftliche Belastungsgrenze derart 
überschreitet, dass die Haushaltsautonomie praktisch vollständig 
leerliefe. Die Beurteilung des Gesetzgebers, dass die 
Gewährleistungsermächtigungen in Höhe von insgesamt rund 170 Milliarden 
Euro für den Bundeshalt tragbar seien, überschreitet nicht seinen 
Einschätzungsspielraum und ist daher verfassungsrechtlich nicht zu 
beanstanden. Gleiches gilt für seine Erwartung, dass selbst im Fall der 
vollständigen Realisierung des Gewährleistungsrisikos die Verluste über 
Einnahmesteigerungen, Ausgabenkürzungen und über längerfristige 
Staatsanleihen noch refinanzierbar wären. 
 
Derzeit besteht auch keine Veranlassung, einen unumkehrbaren Prozess mit 
Konsequenzen für die Haushaltsautonomie des Deutschen Bundestages 
anzunehmen. 
Das deutsche Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Maastricht in der Fassung 
des Vertrags von Lissabon gewährleistet nach wie vor 
verfassungsrechtlich hinreichend bestimmt, dass sich die Bundesrepublik 
Deutschland keinem unüberschaubaren, in seinem Selbstlauf nicht mehr 
steuerbaren Automatismus einer Haftungsgemeinschaft unterwirft. 
 
Keines der beiden angegriffenen Gesetze begründet oder verfestigt einen 
Automatismus, durch den der Bundestag sich seines Budgetrechts entäußern 
würde. 
Das Währungsunion-Finanzstabilitätsgesetz beschränkt die 
Gewährleistungsermächtigung der Höhe nach, bezeichnet den Zweck der 
Gewährleistung, regelt in gewissem Umfang die Auszahlungsmodalitäten und 
macht bestimmte Vereinbarungen mit Griechenland zur Grundlage der 
Gewährleistungsübernahme. Damit ist die Gewährleistungsermächtigung 
weitgehend inhaltlich bestimmt. 
 
Das Euro-Stabilisierungsmechanismus-Gesetz legt nicht nur Zweck und 
Grundmodalitäten, sondern auch das Volumen möglicher Gewährleistungen 
fest. Deren Übernahme ist nur in einem bestimmten Zeitraum möglich und 
wird von der Vereinbarung eines wirtschafts- und finanzpolitischen 
Programms mit dem betroffenen Mitgliedstaat abhängig gemacht. Dieses 
bedarf einvernehmlicher Billigung der Staaten des Euro-Währungsgebiets, 
wodurch der Bundesregierung ein bestimmender Einfluss gesichert ist. 
Allerdings verpflichtet § 1 Abs. 4 Satz 1 dieses Gesetzes die 
Bundesregierung lediglich dazu, sich vor der Übernahme von 
Gewährleistungen zu bemühen, Einvernehmen mit dem Haushaltsausschuss des 
Bundestages herzustellen. Dies genügt nicht. Zur Gewährleistung der 
parlamentarischen Haushaltsautonomie bedarf es vielmehr einer 
verfassungskonformen Auslegung dieser Regelung dahingehend, dass die 
Bundesregierung grundsätzlich verpflichtet ist, vor Übernahme von 
Gewährleistungen jeweils die vorherige Zustimmung des 
Haushaltsausschusses einzuholen.